Otfried Lieberknecht (Berlin)

Zur Rezeption der arabischen Apologie des Pseudo-Kindi in der lateinischen Mohammedliteratur des Mittelalters {*}

Die Risalat cAbdallah ibn Ismacil al-Hashimi ila cAbd al-Masih ibn Ishaq al-Kindi wa-Risalat ila al-Hashimi -- im folgenden, wenn der arabische Text gemeint ist, Apologie des Pseudo-Kindi (APK) genannt{1} --, gilt als die bedeutendste christliche Apologetik in arabischer Sprache und hat auch im lateinischen Mittelalter als Quelle über die Lehre und das Leben Mohammeds eine wichtige Rolle gespielt. Es handelt sich dabei um einen im 9. oder frühen 10. Jahrhundert in arabischer Sprache verfaßten, mutmaßlich fiktiven Briefwechsel, in dem ein Muslim (vorgeblich al-Hashimi) und ein Christ (vorgeblich al-Kindi) am Hof des ägyptischen Sultans al-Mamun einander in je einem Brief zu bekehren versuchen. Für die von Petrus Venerabilis in Auftrag gegebene Collectio Toletana wurde die APK von Petrus von Toledo unter Mitarbeit von Petrus von Poitiers 1142 in Toledo aus dem Arabischen ins Lateinische übesetzt und dann in dieser Übersetzung -- im folgenden Disputatio saraceni et christiani (DSC) genannt -- von Cluny aus in mehreren Handschriften der Collectio Toletana sowie in extravaganter handschriftlicher Überlieferung verbreitet{2}. Zusätzliche Verbreitung außerhalb der Collectio Toletana hat diese Übersetzung noch besonders durch Vinzenz von Beauvais erfahren, der um 1244 unter Angabe seiner Quelle ausführliche Exzerpte aus beiden Briefen in sein Speculum historiale (SH) aufgenommen hat{3}. Nachdem Theodor Bibliander in seiner Druckausgabe der Collectio Toletana (1543){4} nicht den Text der DSC selber, sondern nur die Exzerpte von Vinzenz von Beauvais abgedruckt hatte, geriet die vollständige Fassung der DSC zunächst in Vergessenheit, bis sie von P. Casanova Anfang des 20. Jahrhunderts in den Handschriften wiederentdeckt{5}, von Marie-Thérèse D'ALVERNY (1948) eingehend untersucht und von MUÑOZ SENDINO (1949) in einer allerdings noch sehr vorläufigen Ausgabe gedruckt wurde{6}.

Während die frühe lateinische Rezeption der APK, soweit sie auf dem skizzierten Weg über Toledo und Cluny stattfand, verhältnismäßig gut erforscht ist, ist doch die Dependenz und Interdependenz einer Reihe von zum Teil namhaften lateinischen und auch volkssprachlichen Werken unklar geblieben, die in ihrer Darstellung der Vita Mohammeds auffällige Parallelen zum Brief des Christen bieten. Dazu gehören die folgenden Texte{7}:

YM1: Eine Ystoria Magometh, die CERULLI (1949) in einer der mehr als vierzig Handschriften (Vat. Lat. 2037, f.161v-163v) des bisher nur in Auszügen edierten Pantheon von Gottfried von Viterbo (gestorben zwischen 1192 und 1200) entdeckt und aus dieser einen Handschrift abgedruckt hat{8}. Ohne Angaben zum Zeugniswert und Alter der Handschrift, die nach der Klassifikation von WAITZ (1872) zu den Handschriften der zweiten Redaktion des Pantheon (um 1189) gehören und aus dem 14. Jh. stammen soll{9}, beurteilt Cerulli seine Entdeckung als «testo di Goffredo da Viterbo [...], eccezionalmente ricco di informazioni che, fatte così note in Occidente alla fine del secolo XII, non verranno tuttavia più oltre trasmesse negli scrittori occidentali e rimarranno un caso singolare di conoscenza in Europa del primo Islam» (S. 427). Da aber Gottfried einerseits keine eigenen Arabischkenntnisse besaß{10} und andererseits sein geschulter lateinischer Stil um einiges über dem des fraglichen Textes steht, kann es sich nicht um einen 'Text Gottfrieds' handeln, sondern allenfalls um ein stilistisch nicht überarbeitetes Exzerpt aus einer vorgegebenen lateinischen Quelle. Ob dieses Exzerpt von Gottfried selber oder einem späteren Bearbeiter vorgenommen wurde, wäre anhand der Handschriften des Pantheon erst noch zu prüfen, wo -- soweit sich dies den Angaben von WAITZ (1872) entnehmen läßt -- die Ystoria Magometh in der zweiten Redaktion am Anfang einer angehängten Materialsammlung aus verschiedenen nicht-numerierten Stücken erscheint{11}, aber anscheinend auch in Handschriften der dritten Redaktion (beendet um 1190) in die Particula XXVIII aufgenommen ist{12}. In Hinsicht auf die Quelle des Textes hatte Cerulli zunächst eine unbekannte arabische Quelle aus Syrien vermutet, dann aber in einer nachgetragenen Korrekturnotiz auf enge Übereinstimmungen mit der APK hingewiesen: «Una notevolissima parte delle notizie di Goffredo da Viterbo sulla biografia di Maometto si ritrovano nella lettera di al-Kindi, tradotta da Pietro da Toledo ed inclusa nella Collectio Toletana. Ma le varianti, anche nei nomi propri, non mancano, almeno secondo il codice Vaticano Lat. 4072 [i.e. von DSC]. Soltanto una futura edizione critica della Disputatio di al-Kindi, nell'arabo e nel latino, potrà chiarire anche questo problema, precisando se una relazione diretta esista, ed in qual grado, tra Goffredo da Viterbo e la Collectio Toletana» (S. 552). Obwohl unterdessen für DSC zumindest die Ausgabe von Muñoz Sendino vorliegt und außerdem DANIEL (²1962){13} wichtige neue Hinweise gegeben hat, scheint Cerulli nicht mehr auf das Problem zurückgekommen zu sein{14}.

JV: Die Historia orientalis (Kap. 4-7) von Jakob von Vitry (m. 1240){15}, verfaßt wahrscheinlich 1219-21 in Ägypten während des Aufenthalts in Damiette{16}, deren Angaben zur Vita Mohammeds überwiegend in der Nachfolge der APK stehen, während die Angaben zur Lehre Mohammeds und dem Verhalten seiner Anhänger zum Teil aus anderer Quelle stammen müssen bzw. auf eigener Beobachtung beruhen können und die Darstellung des Nachfolgestreits Kap. 7 in Kap. 8 noch um Angaben aus Wilhelm von Tyrus ergänzt ist{17}.

YM2: Ein von Matthäus Paris in der Chronica maior (verfaßt 1250-1259 in England) wiedergegebener Text (hrsg. von Luard 1876: 343-355), der um 1236 &171;de partibus orientalibus per praedicatores partes illas peragrantes» an Papst Gregor IX. übersandt worden sein soll. Der Herausgeber Luard (1876: 344 Anm.2) weist auf Übereinstimmungen mit JV hin, stellt aber fest: «This account of Mahomet has much in common with his [i.e. JV], but it is fuller in details throughout [...]. The source seems to be an Arabick book, translated by Peter of Toledo». Da Luard für dieses &171;Arabick book» auf die Exzerpte aus DSC in SH verweist und diese Exzerpte auch für die Entscheidung textkritischer Fragen heranzieht, ist offenbar DSC oder SH als Quelle gemeint. Die Möglichkeit, daß statt DSC eine sehr ähnliche Schrift zugrundeliege, betont D'ANCONA (1888: 197 Anm. 2): &171;Questa relazione, se non era la Disputatio, già nota in Occidente per la traduzione di Pier di Cluny, doveva esser qualche scrittura che molto le assomigliava», tippt aber dann auf eine in SH neben DSC benutzte Quelle, die mit der APK nichts zu tun hat. Daß YM2 auf JV beruhe behauptet dagegen CERULLI (1949: 380 Anm. 1), der hierbei jedoch nur eine einzelne Aussage über die Zeugungsfähigkeit der Gerechten im Paradies in JV und YM2 vergleicht, ohne seine eigene Entdeckung YM1 ebenfalls zum Vergleich heranzuziehen{18}. Erst DANIEL (²1962), der auch YM1 heranzieht und enge Übereinstimmung zwischen YM1 und YM2 feststellt, kommt zu dem Ergebnis, daß nicht DSC, sondern eine selbständige, möglicherweise auf anderer arabischer Redaktion beruhende Bearbeitung der APK als «common source of Vitry with Viterbo and the report to Gregory in Paris» zugrundeliege, von ihm als 'Syrian Apology' bezeichnet, die im lateinischen Orient entstanden und von dort zuerst zu Gottfried von Viterbo und später dann, gemäß der Darstellung von Matthäus Paris, ein weiteres mal nach Europa gekommen sei{19}.

GV: Das italienisch verfaßte Mohammedkapitel der Cronica (II, 8, zit. D'ANCONA 1888: 272-274) von Giovanni Villani (m. 1348), das mit seiner Wiedergabe der Bahira-Legende in der Nachfolge von Wilhelm von Tripolis{20} und mit seinen sonstigen Angaben zumeist in der Nachfolge der APK steht. Der Vergleich mit DSC und den vorgenannten Quellen (YM1, YM2, JV) zeigt, daß hierbei JV die vermittelnde Quelle für GV gewesen ist{21}.

AF: Eine ausführliche Mohammedglosse zu Dantes Commedia (zu Inferno XXVIII, 31) im Kommentar des sogenannten Anonimo fiorentino (um 1400){22}. Dieser gibt zwar an, der «Cronica martiniana», d.h. dem Chronicon pontificum et imperatorum von Martin von Troppau (m. 1278), zu folgen, entnimmt ihr aber nur eine zeitliche Einordnung des Geschehens{23}, während er ansonsten, wie schon D'ANCONA (1888: 217-218) bemerkt hat, abgesehen von geringfügigen Kürzungen weitgehend wörtlich mit GV übereinstimmt. Daß AF nicht von GV, sondern, wie D'Ancona erwogen hat, von einer gemeinsamen italienischen Vorlage abhängt, ist nach dem Ergebnis meiner Vergleichung beider Texte und ihrer lateinischen Quellen nicht anzunehmen.

 

Da die beiden italienischen Texte (GV und AF) in denjenigen Angaben, die in letzter Instanz auf die arabische APK zurückgehen, im lateinischen Schrifttum auf JV zurückführbar sind, können sie für das weitere vernachlässigt werden. Der Vergleich der lateinischen Texte untereinander und mit DSC führt zu den folgenden Ergebnissen:

1.) YM1 und YM2 stimmen, abgesehen von einer in YM1 nicht erscheinenden einleitenden Genealogie Mohammeds{24}, weitgehend wörtlich miteinander überein, wie schon Daniel erkannt hat. Dabei zeigen besonders die Varianten der arabischen Eigennamen, daß YM1 und YM2 nicht voneinander abstammen{25}, sondern voneinander unabhängige Zeugen eines lateinischen Textes sind, der als erschließbare Vorstufe von YM1 und YM2 hier *YMw genannt sei (mit der Bedeutung w=westlich, um die Bezeugtheit dieses Textes in Europa hervorzuheben).

2.) JV stimmt in weiten Teilen inhaltlich und vielfach auch in einzelnen Formulierungen mit YM1/YM2 überein. Da aber, wie schon Luard für das Verhältnis von JV und YM2 festgestellt hat, die Darstellung in JV zuweilen unvollständiger ist bzw. zusammenfassenderen Charakter hat und auch die meisten arabischen Eigennamen wegläßt, kann JV nicht die Vorlage von YM2 -- wie Cerulli meint -- oder von YM1 gewesen, sondern allenfalls -- wie Daniel meint -- selber in Abhängigkeit von einem Text des Typs YM entstanden sein.

3.) Der Vergleich von YM1/YM2 mit DSC zeigt, daß YM1/YM2 mittels ihrer Vorstufe *YMw zwar in der Nachfolge der APK stehen, dabei aber nicht abhängig sind von DSC (oder von SH). Das zeigt sich bereits an der beträchtlichen sprachlichen Verschiedenheit, die aufgrund des reichlich unbeholfenen Stils von *YMw nicht das Ergebnis einer frei paraphrasierenden Umformulierung von DSC sein kann, aber auch nicht das Ergebnis einer ohne schriftliche Vorlage angefertigen Rekollekte aus DSC sein kann, da die Reihenfolge der inhaltlichen Aussagen der arabischen Vorlage sich in DSC -- die als sehr getreue Übersetzung gilt -- und in *YMw mit großer Übereinstimmung niedergeschlagen hat. Angesichts dieser Übereinstimmung einerseits und der stilistischen und lexikalischen Verschiedenheit andererseits ist nicht zu bezweifeln, daß YM1/YM2 die Existenz einer zweiten lateinischen Übersetzung bezeugen{26}, die eine straffende Teilübersetzung aus dem Brief des Christen, unter Aufgabe der Briefform sowie mit Schwerpunkt auf der Wiedergabe der historisch-narrativen Aussagen und unter Kürzung oder Weglassung der doktrinären Aussagen, gewesen zu sein scheint. Als inhaltliche Merkmale, die YM1/YM2 von DSC unterscheiden, seien hier nur drei genannt:

3.a) Die Erzählung der Wunder Mohammeds entspricht in YM1/YM2 wie auch in JV mit verschiedenen Auslassungen (Euter- und Trankwunder) der Reihenfolge von DSC, bietet aber auch die in DSC und in SH nicht erscheinende Erzählung von der Teilung des Mondes, die auf Sure 44,1 zurückgeht{27}. Es handelt sich hierbei aber um ein allgemeines Merkmal von Texten des Typs YM, nicht um ein spezifisches Merkmal von *YMw, da auch JV darin mit YM1/YM2 zusammengeht{28}.

3.b) Die Erzählung von Zayds Frau{29}, in DSC (S. 405) nur mit einigen Aussagen berücksichtigt, die beim Adressaten des Briefes bereits Kenntnis dieser Erzählung voraussetzen, ist demgegenüber in YM1/YM2, aber auch in JV, sehr detailiert ausgeführt und als Entstehungsgeschichte des islamischen Scheidungsrechts funktionalisiert. Auch hierbei handelt es sich um kein spezifisches Merkmal von *YMw, sondern nur um ein allgemeines Merkmal von Texten des Typs YM, da JV wieder mit YM1/YM2 zusammengeht{30}.

3.c) Die Lehrer Mohammeds sind in DSC dargestellt als der christlich-häretische Mönch («Sergius») und drei namentlich genannte jüdische Renegaten{31}, in YM1/YM2 hingegen als der christlich-häretische Mönch («Sosius» YM1, «Solus» YM2) und eine weitere Person, die als «ille successor Machomet» (YM1) bzw. «socer Mahomet» (YM2) bezeichnet wird: gemeint ist hiermit ein in YM1/YM2 bei der vorhergehenden Darstellung des Nachfolgestreits präsentierter, angeblicher Schwiegervater und zweiter Nachfolger Mohammeds namens «Athali filius Abitalip» (YM1, falls CERULLI in der Handschrift nicht 'ch' zu 'th' verlesen hat) bzw. «Achaly filius Abitalip» (YM2), in dessen Gestalt offenbar cAli ibn Abi-Talib -- historisch der Vetter und Schwiegersohn Mohammeds und sein vierter Nachfolger -- mit dem als Schwiegervater Mohammeds bekannten, tatsächlichen zweiten Nachfolger cUmar ibn al-Khattab{32} kontaminiert ist. Diese Auffassung des nicht-christlichen Lehrers ist spezifisch für *YMw, und nicht für die allgemeine Tradition YM, da JV zwar in der Darstellung des Nachfolgestreits als angeblichen zweiten Nachfolger ebenfalls den in DSC so nicht bekannten «socer Mahometi, Achali nomine» anführt und diesen insofern als ein weiteres allgemeines Merkmal der Tradition YM bezeugt, ihn aber nicht auch unter die Lehrer Mohammeds einreiht, in deren Darstellung sich JV in anderer Weise als YM1/YM2 (*YMw) von DSC unterscheidet (siehe unten 4.c)

4.) Der Vergleich von JV mit YM1/YM2 einerseits und mit DSC andererseits zeigt, daß in JV das vermittelnde Zeugnis für die APK nicht DSC, sondern ein Text vom Typ YM gewesen ist, der hier wegen seiner Benutzung durch JV im lateinischen Orient *YMo genannt sei. Dabei scheint es, daß *YMo trotz aller Gemeinsamkeiten, die auch eine gemeinsame und erst innerhalb der lateinischen Tradition entstandene Korruptele einschließen{33}, nicht identisch war mit *YMw, sondern eine Vorstufe von *YMw, die die arabische Vorlage noch teilweise getreuer und vollständiger wiedergab, falls die entsprechenden Stellen in JV nicht vielmer so zu erklären sind, daß in JV oder in seiner Vorlage zusätzlicher Einfluß aus DSC oder APK zum Tragen gekommen ist, also Kontamination stattgefunden hat. Vier Stellen seien hier näher betrachtet:

4.a) Die sechzig Männer der zweiten Expedition gegen Mekka{34} werden in YM1/YM2 nur als vierzig gezählt («XL militibus» YM1, «quadraginta militibus» YM2), was am ehesten wohl als eine innerhalb der lateinischen Tradition durch Vertauschung der lateinischen Zahlzeichen LX zu XL entstandene Korruptele zu bewerten ist, die, weil YM1 und YM2 hier übereinstimmen, auch schon für *YMw anzunehmen ist. Dagegen bieten JV («sexaginta de militibus suis») -- der bei der Wiedergabe der militärischen Expeditionen ansonsten enger mit YM1/YM2 zusammengeht -- und ebenso DSC («LX militibus») jeweils die richtige Zahl, die DSC zusätzlich damit erklärt, daß Mohammed nach der Niederlage der dreißig Männer der voraufgegangenen ersten Expedition eine doppelt so starke Mannschaft geschickt habe. Falls nicht Kontamination mit DSC oder APK vorliegt, ist an dieser Stelle *YMo als noch minder verdorbene Vorstufe von *YMw indiziert.

4.b) Die angebliche Behauptung Mohammeds, daß die ihm von Gott verliehene Zeugungskraft derjenigen von vierzig Männern überlegen sei, wird in DSC und in JV, nicht aber in YM1/YM2 wiedergegeben und wird also auch in *YMw schon nicht mehr gestanden haben{35}. Auch hier könnte Kontamination mit DSC bzw. mit der arabischen Tradition vorliegen, oder aber erneut ein Hinweis darauf gegeben sein, daß JV eine Vorlage *YM° benutzt hat, die der arabischen Vorlage noch näher stand als *YMw.

4.c) Bei der Darstellung der Lehrer Mohammeds (siehe oben. 3.c) nimmt JV eine Art Mittelstellung zwischen YM1/YM2 (*YMw) einerseits und DSC andererseits ein, da er ähnlich wie YM1/YM2 außer dem christlich-häretischen Mönch («Solus» genannt) nur noch eine einzelne weitere Lehrerperson darstellt, die er aber im Unterschied zu YM1/YM2 nicht als Schwiegervater und späteren Nachfolger Mohammeds, sondern als «quodam Iudaeo» bezeichnet, insofern ähnlich wie DSC, die jedoch nicht einen einzelnen, sondern drei verschiedene jüdische Lehrer anführt und beim Namen nennt. Auch hier könnte Kontamination mit DSC oder der arabischen Tradition vorliegen, oder aber ein weiteres Indiz dafür gegeben sein, daß JV eine Fassung von YM benutzt hat (*YMo), die der arabischen Vorlage noch näher stand als *YMw. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang, daß auch Oliver von Köln in seinem Missionsschreiben an den ägyptischen Sultan al-Kamil, das wenig später als JV im gleichen Kreuzfahrermilieu verfaßt wurde und mehrere nicht durch JV vermittelte Berührungspunkte mit dem Brief des Christen aufweist, ebenfalls außer dem christlich-häretischen Lehrer -- der dort aber «Sergius» wie in DSC genannt wird -- noch einen einzelnen Juden («quidam Judeus») als Mitverfasser des Korans bezeichnet{36}.

4.d) Ohne Entsprechung in YM1/YM2 ist in JV eine Invektive gegen Mohammeds angebliche Rechfertigung des heterosexuellen Analverkehrs, die die Ausbreitung homosexueller und sodomistischer Praktiken begünstigt habe{37}. Zwar findet sich auch in DSC nichts Entsprechendes, doch könnten verschiedene Glossen in der Collectio Toletana den Anlaß für diese Invektive geboten haben{38}. Ein hinreichendes Indiz für Benutzung der Collectio Toletana -- und damit für mögliche Beeinflussung durch DSC -- ist jedoch auch hiermit nicht gegeben, zumal entfernt ähnliche Aussagen sich auch in dem genannten Missionsschreiben Olivers von Köln finden{39}.

Zusammenfassung und Auswertung

Es ergibt sich also zunächst als Befund, daß außer der 1142 in Toledo entstandenen Übersetzung (DSC) auch eine zweite, möglicherweise auf anderer, aber sehr ähnlicher arabischer Redaktion beruhende lateinische Teilübersetzung aus dem Brief des Christen existierte, die in der Fassung *YMw durch die Gottfried-Handschrift (YM1) und durch Matthäus Paris (YM2) bezeugt ist und in einer weiteren, möglicherweise ursprünglicheren Fassung (*YMo) von Jakob von Vitry benutzt wurde, falls bei letzterem nicht vielmehr Kontamination der Tradition YM mit Einflüssen aus DSC oder aus dem Arabischen stattfindet oder in der Vorlage bereits vorgegeben ist.

Für die genetische Deutung des Befundes kommt es unter anderem darauf an, wie man die Authentizität von YM1 beurteilt. Geht man aus sprachlichen und stilistischen Gründen davon aus, daß Gottfried die Ystoria Magometh nicht selber verfaßt, sondern allenfalls exzerpiert hat, so bestünde von daher kein Grund, bei Jakob von Vitry oder in dessen Vorlage *YMo Kontamination anzunehmen, und es ergäbe sich das folgende Stemma:

                                           
                           APK             
                          /   \            
                       DSC    *YM          
                        /       \          
                      SH        *YMo       
                                / \        
                              JV  *YMw     
                              /   / \      
                            GV  YM1  YM2   
                            /              
                          AF               
                                           

D.h. es wäre, wie schon Daniel vorgeschlagen hat, eine Übersetzung *YM anzunehmen, die vor 1189 mutmaßlich im lateinischen Orient entstand, in einer teilweise verdorbenen Fassung *YMw vor 1189 (bezeugt durch YM1?) und ein weiteres mal um 1236 (bezeugt durch YM2) nach Europa kam, aber in der Zwischenzeit (1219/21) im lateinischen Orient in einer teilweise noch minder verdorbenen Fassung (*YMo) von Jakob von Vitry benutzt und durch dessen Vermittlung später ebenfalls in Europa wirksam wurde (bei GV / AF und anderen). Allerdings bleibt anhand der Handschriften des Pantheon zu prüfen, ob sich aus YM1 wirklich schon Kenntnis der Fassung *YMw um 1189 in Italien ergibt, oder ob der Text nicht erst nach 1236 in der Überlieferung des Pantheon interpoliert wurde, was im übrigen am Stemma nichts ändern würde. Geht man hingegen von der zweifelhaften, wenn nicht unmöglichen, Voraussetzung aus, daß Gottfried von Viterbo die Übersetzung selbst verfaßt hat und also die älteste Stufe *YM um 1189 in Italien entstand, so müßte entweder außer der um 1236 nach Europa wieder zurückgekehrten Fassung *YMw auch die Zwischenstufe *YMo aus Italien in den Orient gelangt sein (vor 1219/21) -- was am Stemma ebenfalls nichts ändern würde --, oder es müßte das Stemma modifiziert und JV bzw. schon seine Vorlage *YMo als mit DSC oder APK kontaminierter Abkömmling von *YMw eingestuft werden. Ohne Heranziehung der übrigen Handschriften des Pantheon -- in denen nach Zeugnissen für *YM und *YMo zu suchen wäre -- und ohne Heranziehung der arabischen Überlieferung läßt sich eine sichere Antwort, wenn überhaupt, selbstverständlich nicht finden. Als nächstliegende Lösung bleibt jedoch einstweilen dasjenige Stemma, das ohne Annahme einer Kontamination auskommt, vorzuziehen.

Anmerkungen

{*}   Zuerst erschienen in AA.VV., De orbis Hispani linguis litteris historia moribus: Festschrift für Dietrich Briesemeister zum 60. Geburtstag, hrsg. von Axel Schönberger und Klaus Zimmermann, Frankfurt a.M.: Domus Editoria Europaea, 1994, I, 523-538; die elektronische Version folgt der gedruckten Ausgabe mit geringfügigen Abweichungen in der Typographie und Zitierform und mit Berichtigung einiger Druckfehler.

{1}   Der arabische Text wurde von TIEN (1888) herausgegeben. Zu den arabischen Handschriften siehe die ergänzenden Hinweise von MUÑOZ SENDINO (1949: 340-341). Teile des arabischen Textes in englischer Übersetzung und Paraphrase bietet MUIR (1882, mir nicht verfügbar). Mangels eigener Kenntnis des Arabischen habe ich selber mich auf die Analyse der lateinischen Adaptionen beschränkt.

{2}   Ich stütze mich besonders auf D'ALVERNY 1948: 69-113, D'ALVERNY 1956, D'ALVERNY 1965: 591-593, 599-602, KRITZECK 1956, KRITZECK 1964: 56-61, 101-107); vgl. außerdem die Einleitung von MUÑOZ SENDINO 1949. Nicht verfügbar war mir ABEL 1964.

{3}   Vinzenz von Beauvais, Speculum historiale, Buch XXIII, Kap. 39-67, S. 912-922; die Exzerpte beginnen Kap. 40, S. 92s. mit der aus dem Incipit der DSC übernommenen Quellenangabe.

{4}   Zur Entstehungsgeschichte dieser Ausgabe siehe KRITZECK 1964: S. vii.

{5}   Nach D'ALVERNY 1948: 96

{6}   Die Ausgabe von MUÑOZ SENDINO (1949), die ich meiner Untersuchung zugrundegelegt habe, beruht auf zwei Handschriften der von Cluny ausgegangenen Fassung, berücksichtigt jedoch die übrigen Handschriften nicht, unter denen D'ALVERNY (1948: 77-78, 108-113, vgl. KRITZECK 1964: 73-74), das Manuskript Paris, Bibliothèque de l'Arsenal, n° 1162, als die älteste, noch in Spanien geschriebene Handschrift der Collectio Toletana erwiesen hat. Eine von D'ALVERNY und ABEL angekündigte, dringend zu wünschende Neuausgabe ist meines Wissens nicht zustandegekommen.

{7}   Mein Corpus erhebt keinen Anspruch, schon alle oder auch nur alle erheblichen Zeugen zu erfassen: verwiesen sei besonders auf den Index von DANIEL ²1962: 445 s.v. «Risalah», der die Auffindung einer Vielzahl von weiteren Texten ermöglicht, deren Stellung in der Tradition der APK zu prüfen und bei der Lösung der von mir diskutierten Probleme eventuell zu berücksichtigen wäre.

{8}   Die Ausgabe von CERULLI (1949: 417-427), auf die ich angewiesen bin, bietet in den Anmerkungen hilfreiche historische und sprachliche Erklärungen zu den arabischen Eigennamen, weckt aber Zweifel an der Verläßlichkeit der Wiedergabe der Handschrift, da der Text und die in den Anmerkungen nochmals zitierten Textstellen des öfteren divergieren. Zur benutzten und den übrigen Handschriften des Pantheon macht CERULLI keine näheren Angaben, falls seine Formulierung «dò per la prima volta qui di seguito il testo, conservatoci dal Codice Vaticano Lat. 2037» (S. 417) nicht besagen will, daß die Ystoria Magometh in anderen Handschriften des Pantheon nicht erhalten sei. Zu den Handschriften des Pantheon siehe stattdessen WAITZ (1872: 14ss.).

{9}   WAITZ 1872: 17, D3, gefolgt von NOGARA 1912: 421, n° 2037, jeweils ohne Angaben zur geographischen Herkunft.

{10}   Vgl. WAITZ 1872: 3.

{11}   Von WAITZ (1872: 10), falls der fragliche Text gemeint ist, als in der zweiten Redaktion gegenüber Red. 1 neu hinzugekommene 'Historia Machometi' (l.5) und «Historia de lege et natura et natura Saracenorum et de vita et origine et lege Machomet prophetae eorum» (Zeile 10-11) bezeichnet.

{12}   Vgl. WAITZ (1872: 280), wonach die Particula XXVIII eine von ihm ausgelassene «Historia de lege et natura Sarracenorum et de vita et origine et lege Machomet prophete eorum que fuit et cepit temporibus Eraclii Romanorum imperatoris» enthält, deren Text mit «Sarraceni» anfängt und mit «occidatur» endet, und deren Incipit im Inhaltsverzeichnis lautet (falls die unklaren Angaben S. 128, zu Particula XXVIII, n° 1-2, so zu verstehen sind, daß n° 2 das Incipit von n° 1 ist): «Incipit de eodem Machometh ystoria, quem Sarraceni colunt et venerantur a tempore Eraclii imperatoris Romanorum et Grecorum». Das Incipit entspricht dem Incipit der Handschrift CERULLIS (YM1), aber der Text «Sarraceni»---«occidatur» ist offenbar ein teilweise anderer, nämlich umfangreicherer als in YM1 («Homo ille»---«occcidatur») und wäre in seinem Anfang mit dem Anfang «Sarraceni»---«Homo iste» des von mir unten als YM2 eingeordneten Exzerptes von Matthäus Paris zu vergleichen.

{13}   Für die Arbeit von DANIEL (²1962), dessen Auffassung sich mit dem Ergebnis meiner eigenen Untersuchung weitgehend deckt, stand mir die 1. Ausgabe von 1960 nicht zur Verfügung.

{14}   CERULLI (1972: 75-76) geht später bei der Behandlung der Tradition verschiedener Wundererzählungen (von der Teilung des Mondes, vom vergifteten Lamm) auf die Frage der Quelle des Textes nicht mehr ein, beansprucht YM1 aber erneut als einen Text von Gottfried von Viterbo «scrivendo poco dopo 1186» (S. 76)

{15}   Jakob von Vitry, Historia orientalis, Kap. 4-7, hrsg. von MOSCHUS (1597), S. 8-33, erhalten auch in altfranzösischer Übersetzung, hrsg. von Buridant (1986), siehe dort S. 5-72.

{16}   Zur Frage der Datierung, bei welcher der Beginn der Arbeit 1219 aufgrund der Aussagen des Prologes unstrittig ist und 1221 als 'terminus ad quem' nicht für die Historia orientalis, sondern auch schon für den zweiten Teil der geplanten Trilogie, die Historia occidentalis, in der Diskussion ist, siehe FUNK 1909: 130-133, HINNEBUSCH 1972: 16-20, BURIDANT 1986: 10-11.

{17}   Während die Angaben zum Nachfolgestreit in JV Kap. 7, S. 32-33 mit der Darstellung in YM1/YM2 und mit DSC (S. 410) bzw. APK zu vergleichen sind, beruht Kap. 8, S. 33-34, offenbar auf den historisch korrekteren Angaben von Wilhelm von Tyrus, Chronicon, Buch XIX, Kap. 21 (datiert 1181), hrsg. von HUYGHENS (1986: 890-891), die auch Oliver von Köln, Historia regum terre sancte (verfaßt 1219/20 in Ägypten während der Belagerung von Damiette), Kap. 56, hrsg. von HOOGEWEG (1894: 122), aus Wilhelm von Tyrus übernimmt. Zu der Vermutung Zachers, daß JV stattdessen Wilhelms ältere und verlorene Schrift De gestis orientalium principum benutzt habe, und zwar auch schon in den vorhergehenden Kapiteln 4-7, siehe FUNK (1909: 133-135), der dies für wahrscheinlich hält, aber außer SH keine weiteren Zeugen der APK zum Vergleich heranzieht und außerdem die Schwierigkeit der Vorstellung offenbar nicht ermißt, daß ausgerechnet ein über die Nachfolger Mohammeds so gut informierter Chronist wie Wilhelm von Tyrus eine ähnlich falsche Darstellung wie JV Kap. 7 produziert (bzw. aus der Tradition der APK reproduziert) und diese Darstellung dann auch im Chronicon noch zur Lektüre empfohlen haben könnte. Als Verfasser der Vorlage von JV Kap. 4-7 scheidet Wilhelm von Tyrus meines Erachtens aus.

{18}   Vgl. JV: «ex quibus [sc. mulieribus] quotcumque vellent filios generarent», YM1: «Item quod filios masculos aud feminas in coitu procreare desideraverint, tot procreabunt», YM2: «Idem quotquot filios masculos aut feminas in coitu procreare desideraverit, tunc procreabit», ohne Entsprechung in DSC.

{19}   DANIEL ²1962: 11-12, 230-231, 377 Anm. 6, vgl. auch DANIEL 1975: 238.

{20}   Wilhelm von Tripolis, Tractatus de statu saracenorum (verfaßt 1273), hrsg. von PRUTZ (1883: 573-598), hier Kap. I-III, S. 576-577, zu vergleichen mit JV «E andando giovane garzone» bis «vivendo con loro a comune di ruberie e d'ogni male acquisto»

{21}   Da in einer der von PRUTZ (1883: 574) benutzten Handschriften des 14. Jahrhunderts (Paris, B.N. fonds latin 5510) der Tractatus von Wilhelm von Tripolis der Historia orientalis von Jakob von Vitry nachgestellt ist, dürfte das Kapitel Villanis auf Benutzung einer derartigen Zusammenstellung beider Texte beruhen.

{22}   Hrsg. von FANFANI 1866-74, Band I: 598-603.

{23}   AF S. 598-599: «Questo scrive la Cronica Martiniana: Nel torno di seicento anni dalla incarnazione di Cristo, al tempo d'Eraclio imperadore, et di Costantino suo figliuolo, nel paese d'Arabia, nella città di Lamech, fu uno falso Profeta...» (etc.), vgl. GV: «Nei detti tempi, quasi intorni di 600 anni di Cristo, nacque nel paese d'Arabia nella città di Lamech, uno falso profeta...» (etc.). Nur die Einordnung «al tempo d'Eraclio imperadore, et di Costantino suo figliuolo» (AF) läßt sich tatsächlich auf Martin von Troppau zurückführen, da dieser seine kurzen Angaben zu Mohammed in der Abteilung «Eraclius cum Constantino filio suo imperavit annis 31» untergebracht hat (Ausgabe von WEILAND 1872: 457).

{24}   Diese Genealogie der Vorfahren seit Abraham YM2 S. 344-345 ist angefügt an eine kurze Erklärung der drei Völkernamen 'Saraceni', 'Agareni', 'Ismaelitae', die ähnlich auch in JV erscheint, aber nicht arabischer Herkunft, sondern Gemeinplatz einer patristischen Tradition ist, welche DÖRPER (1993) im lateinischen Schrifttum bis auf Hieronymus zurückgeführt hat. Die Genealogie selber beruht dagegen ersichtlich auf arabischer Tradition, ist aber nicht identisch mit der Genealogie der Vorfahren seit Adam, die (vgl. KRITZECK 1964: 84ss.) von Hermannus Dalmata vor Juni 1143 für die Collectio Toletana übersetzt wurde, De generatione Machvmet, hrsg. von BIBLIANDER (1543: 201-212), Auszug bei CERULLI (1972: 281-291). Der in YM1 in der Handschrift Cerullis fehlende Anfang von YM2 «Sarraceni» bis vor «Homo iste...», der die Erklärung der Völkernamen, die Genealogie Mohammeds und einen Zusatz von Matthäus Paris enthält, scheint wenigstens teilweise auch in den denjenigen Handschriften des Pantheon zu stehen, die im Unterschied zu Cerullis Handschrift nicht mit «Homo ille», sondern mit «Sarraceni» beginnen, siehe oben Anm. 13.

{25}   Dafür, daß YM1 unabhängig ist von YM2 (zumindest in der Ausgabe von Luard), spricht z.B. der Name «Gotba filius Gabaz et Hibenchamaii» YM1 ('Guttheba, filius Abihacadj' DSC), ausgelassen in YM2, der Ortsname «Jamboech» YM1 («Iambo» DSC) vs. «Maboeth» YM2 für Yanboc (CERULLI 1949: 419 Anm. 12), oder der Name «Roiana» YM1 («Reihana» DSC) vs. «Ramath» YM2 für Mohammeds Konkubine Roiana (CERULLI 1949: 422 Anm. 1). Unabhängig von YM1 zeigt sich YM2 z.B. in «Alcharith» YM2 («Alaharathi» DSC) vs. «Archalit» YM1 für al-Harit (CERULLI 1949: 419 Anm. 1), «Gaif Ajunacaz» YM1 («Zaid, filius Ebihacad» DSC) vs. «Gaif» ohne Patronym YM1 für Sacd, Sohn des Abu Waqqas (CERULLI 1949: 419 Anm. 4), oder «Raghata Alazari» YM2 («Ragahaalenzari» DSC) vs. «Reghata Aluzan» YM1 für Rawaha und al-Hazragi (vgl. CERULLI 1949: 420 Anm. 1), oder in der Benennung von Zayds Frau Zaynab («Habebat Machomet servum nomine Zeid, cuius uxor speciosa erat valde, nomine Zemah, quam ipse Machomet multum diligebat» YM2), deren Name in YM1 dem Ehemann selber zufällt («Habebat Machometh servum nomine Zeinab, quem ipse Machomet multum diligebat» YM1, dort aber später auch richtig «Zeinab filia Gaazi uxor Zeit»).

{26}   Daß der Name Yatrib (CERULLI 1949: 418 Anm. 4) für Medina in YM1/YM2, aber nicht in DSC erscheint («cum de civitate veniret ad Mecham» DSC, «Quadam die veniebat a civitate Ieruet ad Macam» YM1, «Quadam autem die veniebat a civitatibus Jerveth et Matham» YM2, vgl. JV: «Quadam die dum de ciuitate Matham veniens»), könnte ebenfalls Unabhängigkeit gegenüber DSC indizieren, aber auch auf einer Lücke der von MUÑOZ SENDINO benutzten Handschriften beruhen. Aussagekräftiger ist vielleicht, daß YM1/YM2 (und JV) das Opfer des ersten Raubes und den Gegner bei der ersten Expedition gegen Mekka als ein und dieselbe Person erkennen («cujus camelum rapuerat Machomet» YM1 und YM2, «cuius camelum Mahometus abstulerat» JV) und (nicht so JV) jeweils beim Namen nennen, während DSC den Beraubten nur als «hominem camelum habentem» bezeichnet und den Gegner bei der ersten Expedition nur bei seinem Namen nennt, ohne die Gleichheit beider Personen erkennbar zu machen.

{27}   Vgl. CERULLI (1972: 75-76), der aber YM2 und JV nicht berücksichtigt. Der von ihm zusätzlich angeführte Beleg aus der Legenda aurea von Jakob von Voragine ist abhängig von JV.

{28}   DANIEL (²1962: 377 Anm. 6), der die Erzählung des Mondwunders ebenfalls schon als distinktives Merkmal von YM1/YM2 und JV gegenüber DSC erkennt, weist außerdem darauf hin, daß einer der von mir selbst nicht untersuchten Texte, die 1550 unter dem Namen von Johannes von Wales gedruckte, aber in Spanien entstandene und möglicherweise von Ramon Martí (13. Jh.) verfaßte Reprobatio quadruplex diese Wundererzählung al-Kindi zuschreibe. Die arabische Verfasserfiktion der APK ist weder in den bekannten Texten des Typs YM bewahrt, die auch die Briefform nicht mehr erkennbar halten, noch in der DSC, die die Namen der Verfasser beider Briefe ausdrücklich verschweigt («Horum duorum nomina aliqua de causa scribere recusavimus» S. 377) und auch wegen des fehlenden Mondwunders nicht die Quelle der Reprobatio gewesen sein kann. Aus der Zuschreibung der Reprobatio läßt sich jedoch noch keine lateinische Redaktion *YM, in der die Verfasserfiktion noch bewahrt gewesen wäre, erschließen, da der Verfasser der Reprobatio laut DANIEL vielfach arabische Quellen benutzt hat und also wohl auch in der Zuschreibung des Mondwunders eher von arabischer Quelle abhängen wird.

{29}   Dazu DANIEL (²1962: 97-100) mit weiteren Belegen für diese Erzählung, unter denen besonders Fidentius von Padua (ebenda S. 97, vgl. auch S. 92, dort aber abweichend von der Tradition YM und anscheinend übereinstimmend mit DSC und SH) zu prüfen wäre.

{30}   CERULLI (1972: 68-69), der die Aussagen zum Scheidungsrecht in DSC, bei Eiximenis und bei GV vergleicht, findet bei letzterem «il dato autentico dell'istituto giuridico [...] curiosamente collegato con un altro motivo, abusato, della polemica medievale occidentale; e cioè con l'unione di Maometto con la moglie di Zayd ibn Harith», verkennt aber, daß GV auf JV beruht und ein allgemeines Merkmal aus der lateinischen Tradition YM reproduziert.

{31}   In der Ausgabe von MUÑOZ SENDINO (1948) heißen die Namen «Uheben, filius Mume, Abdalla filius Celemin et Chabin, qui cognominabatur Alhahbarc» (S. 414, vgl. S. 397: «Uehben, filium Mume, et Abdalla, filium Celehmin, et Chabin»). KRITZECK (1964: 105), der sich für den Text von DSC nicht auf diese Ausgabe, sondern auf die älteste Handschrift (Arsenal, n° 1162) stützt, referiert die Stelle so, daß man annehmen muß, daß dort nicht drei, sondern nur zwei jüdische Lehrer (cAbdallah ibn-Salam und Kacb al-Ahbar) genannt sind. Petrus Venerabilis, Summa totius haeresis saracenorum, hrsg. von KRITZECK (1964: 204-211), dessen die Collectio Toletana einleitender Text auf DSC beruht, spricht dort nur von 'Iudei adiuncti heretico [i.e. Sergio]' (S. 205), ohne deren genaue Zahl oder Namen anzugeben.

{32}   Als Schwiegervater Mohammeds wird cUmar in den Katalogen der fünfzehn Frauen Mohammeds im Patronym der vierten («Aça filia Gomar» YM1, «Aza filia Gomar» YM2, nicht JV, vgl. «Hafcetu, filia Guma» DSC) angeführt.

{33}   Vgl. den vermeintlichen Ortsnamen «Calingua» bzw. «Salingua» in «Qui eo tempore idola colebant in loco qui dicitur Calingua et Alguze» YM1, «qui eo tempore idola colebat in loco qui dicitur Calingua, etiam et Aliguze» YM2, «a quodam homine Gentili & Idololatra, qui nutriuit eum in illo loco Arabie, qui dicitur lingua eorum Salingua» JV. Laut CERULLI (1949: 417 Anm. 5) liegt Verderbnis eines erschließbaren Textes 'arabica lingua Bet Alguze' vor, der nicht den Namen des Ortes (Mekka), sondern den der dort verehrten Göttin al-cUzza meint. Weder diese Korruptele, noch ihr von Cerulli konjizierter Text erscheint in DSC, sondern die richtige, aber anderslautende Übersetzung «Ipse vero postea cultor fuit ydolorum, que vocantur ellech et allaze in Mecha».

{34}   Vgl. CERULLI 1949: 419 Anm. 1-3.

{35}   «ut diceret datum renibus suis a deo XL viros potentissimos in coitu fortitudine libidinis adequare» (DSC), «iactans se solum supra quadraginta homines ex diuino munere virtutem generatiuam habere, & coëundi supereminentem potestatem a Deo accepisse» (JV, übernommen auch von GV/AF). Vgl. DANIEL1962: p.96-97, 346 Anm. 50.

{36}   Oliver von Köln, Epistola salutaris regi Babilonis, hrsg. von HOOGEWEG (1894: 296-397, hier 299): «doctor tuus publice profitetur in libro suo, quem quidam Judeus et Sergius monachus apostata dictabant, se litteras ignorasse et gratiam miraculorum non habuisse». Da die Parallelen dieses Briefes zur APK geringfügig sind und als möglicherweise nur gattungsspezifisch bedingte meines Erachtens nicht hinreichen, die Quelle (DSC, APK oder *YM?) präzise zu bestimmen, habe ich darauf verzichtet, diesen Text in mein Corpus aufzunehmen. Zur Entstehung des Briefes, der im Unterschied zu JV zwar nicht mehr in Damiette, aber kurz nach dem Verlust von Damiette (8. September 1221) noch im selben Monat wahrscheinlich in Akkon verfaßt wurde, siehe HOOGEWEG 1894: S. CLXII, dazu S. XXXII.

{37}   JV Kap. 5, S. 17s.: «Porcus autem ille & canis immundus in tantum libidinus feruorum exarsit, quod ipse alijs concessit modum turpitudinis, quo in proprijs vxoribus abutebatur. Ait enim in libro suo quem vocat Alchoranum: Si vxores vel ancillas habetis, ipsas pro modo vestro ad voluntatem vestram parate [vgl. Koran 2,223]. pro quo execrabili verbo statim viuus deberet concremari. Per hoc enim latenter vitium Sodomiticum hostis nature in populo suo introduxit. Vnde ipsi ex maxima parte non solum in vtroque sexu, sed etiam in brutis turpitudinem abusiue operantes, facti sunt, sicut equus & mulus quibus non est intellectus. Asserunt enim ad perniciosam sui excusationem quod re propria ad omnem voluntatem & voluptatem suam quilibet licite possit vti.»

{38}   Die einschlägigen Stellen aus den Glossen der Collectio Toletana im Ms. Arsenal 1162 und aus den nicht in diese Sammlung aufgenommenen Capitula von Petrus von Poitiers hat KRITZECK (1956: 191 § 3) zusammengestellt, weiteres Material bietet die Appendix E von DANIEL (²1962: 320-321, vgl. ebenda 141-146). Auf welche Textstellen die fraglichen Glossen der Collectio Toletana («id est, in uulua uel ano, quod sequitur maxima pars sarracenorum abutens ano», «Nota.. Turpissimum preceptum, pro quo solo debuisset incendi...») sich beziehen, wird in den Ausführungen von Kritzeck nicht ganz klar. Falls sie, wie es scheint, im Zusammenhang mit der von Kritzeck erläuterten Sure 2,223 stehen (in der Übersetzung von Robert von Chester: «O uiri, mulieres subiectas penitus pro modo uestro ubicumque uolueritis», in der Übersetzung der Capitula von Petrus von Poitiers: «O uiri, mulieres nobis subiectas ex quacumque parte uobis placuerit perarate», vgl. JV: «Si vxores vel ancillas habetis, ipsas pro modo vestro ad voluntatem vestram parate», weiteres bei DANIEL ²1962: 320-321), liegt eine ähnliche Mißdeutung der Pflugmetaphorik dieser Sure vor wie bei Jakob von Vitry. Daß letzterer eine möglicherweise mündlich vermittelte, in jedem Fall aber spezifisch spanische Polemik aufgreife, meint DANIEL ²1962: 141.

{39}   Oliver von Köln, Epistola salutaris regi Babilonis, hrsg. von HOOGEWEG (1894: hier 298-299 und 302): «Preterea, quod hiis deterius est, lex mortis docet, neminem in sua re peccare posse. Hec perditionis doctrina peccatum contra naturam et crudelitatem contra servos et ancillas induxit», «Recte appellatus es Kemel, quod interpretatur consummatus, quod in politicis virtutibus reges et principes antecedis, de hoc precipue commendandus, quod immunis esse diceris a crimine pessimo, quo gens tua laborat, publice statuens ephebiarum abominationes et multiplicans offensiones in stagnum ignis et sulphuris» (vgl. Apc 20,9). Der Bezug zu Sure 2,223 ist hier, anders als bei JV, nicht gegeben. Auf welche Sure oder welchen Spruch des Propheten «neminem in sua re peccare posse» (vgl. JV: «quod re propria ad omnem voluntatem & voluptatem suam quilibet licite possit vti») zurückgehen könnte, habe ich nicht ermittelt.

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Dokument: 19. März 1999, © Otfried Lieberknecht
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